Das Erwachen des Zeitalters des Mitgefühls
Der wesentliche Unterschied zwischen der vergangenen Epoche und dem neuen Zeitalter ist eine Verlagerung des Schwerpunkts. Dadurch, dass die menschlichen Beziehungen in der Vergangenheit von Angst und Gewalt bestimmt waren, verhielten sich die Menschen mehr oder weniger auf einer tiergleichen Ebene.
Auf diese Weise konnte zwar das äußerliche Verhalten geregelt werden, aber meistens führte es zu viel Unterdrückung. Durch Angst, Zwang und eine auf Macht basierten Weise, Dinge durchzusetzen, konnte zwar vieles niedergehalten werden, es wurde allerdings weder gelöst, noch geklärt. Auch wurde einiges auf der Wunschebene manipuliert – das Spiel mit der Gier.
Der Unterschied zu einem Zeitalter, in dem Angst und Gier die Basis der menschlichen Beziehungen waren, zu einem Zeitalter des Mitgefühls ist, dass wir uns bewusst und mit Sympathie und Mitgefühl miteinander verbinden.
Das kann für jeden Menschen eine Atmosphäre schaffen, in der es möglich ist, sich selbst zu akzeptieren und zu respektieren. Der grundlegende Unterschied besteht auch darin, dass wir anfangen, uns gegenseitig als einzigartige Manifestationen dieses Mysteriums des Lebens zu akzeptieren. Dies wird weitreichende Auswirkungen auf allen Ebenen des manifestierten Lebens haben. Wenn in uns die Annahme und der Respekt uns selbst gegenüber wächst, wird sich das auch auf alle andere Gebiete ausdehnen. Die Richtung ist, dass diese Akzeptanz und dieser Respekt auf den verschiedensten Ebenen geschieht: in den Religionen, der Politik, den sozialen Strukturen und in der Arbeit der Vereinten Nationen – das ist entscheidend. Wenn wir das bewusst in die richtige Richtung bringen, wird es möglich werden, die individuellen inneren Schritte der Menschen durch lebendige Strukturen der Gesellschaft zu unterstützen.
Natürlich ist es zuallererst die individuelle Initiative. Es sind die persönlichen Schritte, die entscheidend sind und den ganzen Unterschied ausmachen werden. Aber unterstützende Strukturen des Umfelds können dazu beitragen, den einzelnen zu ermutigen und diese Schritte zu erleichtern. Es wird eine große Wirkung auf den ganzen Lebensprozess haben, in welchem die Menschen endlich beginnen können, auf eine natürliche Weise in ihre Menschlichkeit hineinzuwachsen. Sie können liebevoll zueinander sein, ohne immer auf der Hut sein zu müssen – in Angst, vergleichend – und ohne im Wettkampf auf allen Ebenen untereinander verstrickt zu sein.
Dies war das Missverständnis, welches die Menschheit so sehr ins Leid geführt hat. Das wird daran deutlich, dass ein Großteil der Bevölkerung – besonders ausgeprägt in den modernen Industriegesellschaften – unter allen denkbaren psychologischen Problemen leidet. Viele fallen in Depressionen und versuchen die Flucht in Alkohol, Drogen und andere selbstzerstörerische Prozesse. Einige von uns versuchen auch, sich in Scheinalternativen niederzulassen, was aber oft nicht wirklich gesund ist. Zum Beispiel kann man keine echten Beziehungen miteinander nur auf einer virtuellen Ebene haben. Man kann das Leben nicht darauf reduzieren, ausschließlich auf einer oberflächlichen Ebene miteinander zu sein. Diesen ganz, ganz wichtigen Faktor gilt es einzusehen!
Wir brauchen eine Neuorientierung in der Art und Weise, wie die Religionen sich dem Thema annähern: Die Religionen sollten die auf Macht basierte Vorgehensweise hinter sich lassen, mit der versucht wird, die Menschen durch Abschreckung und Bestrafung zu kontrollieren. Stattdessen kann sichtbar gemacht werden, dass es gerade die ursprüngliche Bedeutung der Religion ist, die Menschen mit der Wirklichkeit tief zu verbinden und nicht Spaltung und Konflikte im Menschen zu bewirken. All das Positive wird sich spontan entwickeln, wenn die Religionen ihre Aufmerksamkeit bewusst auf ihre eigentlichen Ursprünge lenken und sich mit den Grundlagen ihrer Gründer – und dabei vor allem mit deren lebendig erfahrenen Einsichten– verbinden. Der entscheidende qualitative Unterschied wird entstehen, wenn es Menschen gibt, die in die tiefere, mystische Erfahrung der religiösen Lehren eintreten. Dann wird aus ihrem Verständnis heraus – intuitiv – die Qualität von Mitgefühl und Liebe erblühen.
Diese Qualität gibt Orientierungen, versucht aber nicht, Liebe und Mitgefühl durch Angst als Pflicht aufzuerlegen. Ein Mensch, der das Mitgefühl lebt, will weder bestrafen, noch Schuldgefühle erzeugen oder verdammen. Denn durch Verdammung und Schuldgefühle wird es für die Menschen sehr, sehr schwierig, sich selbst und andere zu akzeptieren und auf gesunde Weise zu wachsen.
Es ist wichtig, dass der Einzigartigkeit jeder Religion mehr Akzeptanz und Respekt entgegen gebracht wird, sodass sich die Religionen untereinander weder vergleichen, noch miteinander konkurrieren, noch diese Art von Konkurrenzkampf fördern. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, den Fokus auf die wirklichen religiösen Werte zu lenken. Das bedeutet auch ein Zusammenkommen auf einer bestimmten Ebene, um gemeinsame Orte zu haben, wo die Menschen – unabhängig von ihrer religiösen Orientierung – Unterstützung finden können. Diese Hilfe kommt von einigen mystisch orientierten Menschen mit lebendig religiösem Hintergrund, die das Verständnis und eine tiefere Wahrnehmung haben, aus der heraus sie ihre Einsicht und Erfahrung der Wirklichkeit mit anderen teilen. Es ist deshalb möglich, das, was wirklich wertvoll ist, zu teilen, da jeder Mensch bereits tief in sich die Qualität von Liebe und Freundschaft trägt. Jedes menschliche Wesen hat das Potenzial der Freude und des Feierns in sich. Die Orientierung ist, den Menschen zu helfen, mit dieser Dimension in Kontakt zu kommen.
Anstatt mit der Dunkelheit, dem Negativen, zu kämpfen, ist es besser, bewusst die Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was wesentlich und wertvoll ist. Wenn die Menschen dies realisieren, werden sie, aus ihrer eigenen Verwirklichung heraus, spontan das tun, was kreativ, wertvoll, sensibel und voller Liebe ist. Deshalb sollten wir die Perspektive des Bestrafens fallen lassen und neu überlegen. Unterstützung für diejenigen Menschen sollte angeboten werden, die in eine falsche Richtung gegangen und nun darin gefangen und verstrickt sind. Diese Art von Hilfe besteht weder darin, sie zu verurteilen und Rache an ihnen zu nehmen, noch in einem Vorgehen aus unserer ungeklärten Wut und Bitterkeit heraus – sondern aus unserer Einsicht, das sich jeder von uns in einem Prozess der Selbstentdeckung befindet. Alle versuchen auf ihre jeweils eigene Art, eine Orientierung, einen gewissen Halt im Leben zu finden, um glücklich, voller Freude zu leben und um die Liebe und ein wirkliches Zuhause hier auf der Welt zu entdecken.
Wir sollten uns dieser grundlegenden Sehnsucht sowie der tieferen Realität jedes Menschen bewusst werden und dieses Verständnis und diesen Respekt die Basis aller unserer Aktivitäten und Verbindungen zueinander werden lassen. Bhashkar Perinchery